Besprechung in den Badischen Neuesten Nachrichten zu "Die Welle", 21. Dezember 2007

 

Die Banalität des Bösen vorgeführt

 

Jakobus Theater Karlsruhe spielt "Die Welle" nach dem Roman von Morton Rhue

Deutschland 1943: Deportationszüge rollen in die Vernichtungslager, Massengräber, Erschießungen, Leichenberge, Gaskammern. "Millionen Menschen wurden von den Nazis in den KZs umgebracht", erklärt Geschichtslehrer Ben Ross seiner Klasse, die einen Film über das so genannte Dritte Reich sieht. Die versteht die Welt nicht mehr: Wie war so etwas möglich? David, leidenschaftlicher Footballer, ist überzeugt: "Mich brächten so ein paar Nazis nicht dazu, nichts mehr zu hören und nichts mehr zu sehen." Niemand, so die Schüler, befolge doch blind solche Befehle. Und sie sind sicher: Das ist Geschichte und kann sich nicht wiederholen!

Philologe Ross überlegt: Wie nur kann er seinen Schülern zeigen, dass faschistoides Denken und Handeln noch immer vorhanden ist und potenziell in jedem Menschen steckt? Der Lehrer startet sein Experiment "Die Welle". Und schnell zeigt sich, wie Schüler auf Linie getrimmt werden und zu schneidigen Herrenreiterchen mutieren. Einfühlsam und stark im Ausdruck verkörpert das Ensemble des Jakobus-Theaters wie sich die Schüler Brian, Janet, Robert, David, Brad, Laurie, Amy und Andrea zu einer gehorsamen, gleichgeschalteten und geistlosen Meute entwickeln - Lehrer Ross (Bernd Hefer) benötigt nur wenige verbale Kunstgriffe für diese unheilvolle Verwandlung.

Für das Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit wird Eigenverantwortung aufgegeben. Und die Gruppendynamik fordert ihre Opfer: Wer nicht zur "Welle" will, wird angefeindet, denunziert, verprügelt.

Das Theaterstück "Die Welle" von Reinhold Tritt basiert auf dem Roman "The Wave" von Morton Rhue. Rhues Buch, ein Standardwerk im Deutsch- oder Englischunterricht basiert auf einer wahren Begebenheit. 1967 unternahm der junge Geschichtslehrer Ron Jones an der Cubberly Highschool in Palo Alto ein gewagtes Experiment und bewies wie schnell die meisten Schüler zu Mitläufern wurden. Jones musste den Versuch nach wenigen Tagen abbrechen. Jahre später berichtet er von seinen Erfahrungen und auch davon, dass sich später keiner seiner Schüler mehr erinnern wollte, Teil der Welle gewesen zu sein. Im Verlauf der Handlung werden Grundsätze der Stärke, der Gemeinschaft und der Disziplin von den Schülern verinnerlicht. Ross bemerkt, dass die Schüler zwar automatisch Wissen abrufen können, doch sie haben aufgehört, selbst zu denken. Innerhalb der elitären Gruppe scheinen alle gleichberechtigt zu sein und vorherige Außenseiter wie Robert (gut: Ingo Raschke), können sich profilieren.

Die Freundschaft zwischen der Chefredakteurin der Schülerzeitung Laurie (Lena Maier) und dem unkritischen David (Carsten Thein spielt überzeugend) zerbricht im unhinterfragten Zwang. Erst als David gegen Laurie Gewalt einsetzt wird ihm klar, was Gruppenzwang und blinder Gehorsam aus ihm gemacht haben. Auch Lehrer Ross verändert sich - erst auf Drängen seiner Frau, des Direktors und Lauries und Davids, erkennt er, dass er keine Kontrolle mehr hat und bricht das Experiment ab.

Regisseur Philipp Koblmiller beweist sowohl bei der Führung seiner Darsteller als auch beim minimalistischen Bühnenbild eine sichere Hand. Und so bleibt, als der Vorhang fällt, das beunruhigende Gefühl zurück: von wegen Geschichte. Der Aufführung sind viele Zuschauer zu wünschen.

Ute Eppinger

 

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